Alles Nichts
„Escaperoom“ im kühlen Weinkeller
Gregors Keller ist ein Ort des Genusses. Dort werden edle Weine verköstigt und von Gregor wortreich und blumig angepriesen. Seine Kundschaft ist in der Regel gut betucht und weiß die urige Atmosphäre des Ambientes zu schätzen. An diesem Tag sind Linda und Alf zur Weinprobe anwesend. Dass die beiden sich nicht besonders mögen, wäre keine große Sache, wenn nicht ein fundamentales Ereignis alles Erwartbare auf den Kopf stellen und ihren Aufenthalt überraschend verlängern würde.
Buchstäblich eingekellert in ihre eigene begrenzte Gedankenwelt begeben sie sich mit Gregor und der mysteriösen Lysann auf eine verspielt-lustvolle Strategiesuche, um dem „Escaperoom“ zu entkommen und schenken sich reinen Wein ein. Dabei stellen Sie sich selbst und den Zuschauer:innen in immer neuen Spielanordnungen raffinierte Fragen und Aufgaben (oder sind sie banal?) und erfahren viel mehr über sich und ihre Rolle im Spiel des Lebens als ihnen lieb ist: Sind wir Statisten in unserem eigenen Leben oder nehmen wir als unser eigener Regisseur Einfluss? Wo verorten wir uns im Zusammenspiel von Innenwelt und Außendarstellung? Wie werden wir, was wir sein wollen? Ist überhaupt Wandel möglich? Hat unser Leben die nötige Würze und wie schmeckt es uns im Abgang? Oder war doch alles nichts?
Das Lust-Spiel, das sich aus dieser Versuchsanordnung entwickelt, bringt Antworten zutage, die bis dahin niemand der Anwesenden zu geben gewagt hatte.
Ulli Haussmanns neues Stück öffnet Türen in spannende Räume. Auf der Combinale-Bühne sind neben dem Autor erstmals Britta Boehlke und Christopher Ammann zu erleben, Anna Fingerhuth hatte zuletzt in unserer „Macbeth“-Produktion als Tänzerin beeindruckende Auftritte und L.-Christian Glockzin ist nicht nur als Regisseur ein alter Combinale-Hase.
Pressestimmen
Das Balancieren an der Abrisskante des Lebens
Das Theater Combinale geht mit seinem neuen Stück „Alles Nichts" auf Sinnsuche - und wurde bei der Premiere dafür kräftig gefeiert.
Lübecker Nachrichten, Majka Gerke
LÜBECK. Porsche futsch, Welt weg, Leben vorbei. Und jetzt? Was macht die Apokalypse mit drei Menschen, die plötzlich übrig sind und den Rest der Menschheit bilden? Und die mit sich und mit einander rein gar nichts anfangen können? Auf dem ersten Blick klingt die Geschichte des Stücks „Alles Nichts", das am Freitagabend im Theater Combinale Premiere feierte, wie ein Tragödie. Autor Ulli Haussmann hat daraus eine komplexe Geschichte gemacht, die dem begeisterten Premierenpublikum, das am Ende langen Applaus gab, viele Fragen, aber nur wenig Antworten lieferte. Doch genau macht den Reiz aus. Denn anstatt mit fertigen Bildern gefüttert zu werden, bietet das von Regisseur L. Christian Glockzin sehr schlüssig inszenierte Stück viel Spielraum, um nachzudenken. Das Ganze geht natürlich nicht ohne einen gewissen Humor ab. Der kommt schon durch die schillernden Figuren, die Haussmann sich ausgedacht hat:
Da ist einmal Gregor, in dessen Rolle der Autor selbst geschlüpft ist. Der wortkarge Weinfachmann veranstaltet in seinem Keller exklusive Weinproben und wird erst richtig gesprächig, wenn es um seinen Rebensaft geht. An diesem Abend nehmen Alf und Linda teil, die im Keller das erste Mal aufeinandertreffen und gegensätzlicher nicht sein können. Blöd nur, dass, während sie noch Rotwein aus der Toskana schlürfen und über den Tanningehalt der einzelnen Sorten diskutieren, die apokalyptischen Reiter vom Himmel herabsteigen und die Erde in Schutt und Asche legen. Vom Weltuntergang haben sie im Keller allerdings nichts mitbekommen. Das merken sie erst, als Alf (herrlich: Christopher Ammann) den Keller verlassen will. Der geschniegelte Porschefahrer (Kostüme: Stephanie Viola Dalski), der sein Geld mit dem Import von Stringtangas aus China macht, hat nach Lindas (großartig: Britta Boehlke) Meinung den Tiefgang einer Stubenfliege. Das lässt sie ihn auch spüren. Die zickige Geschäftsfrau mit Vorstandsposten verliert Stück für Stück ihre Kultiviertheit. Was nützt Geld, wenn man nichts hinterlassen kann? Was nützt einem Erfolg, wenn man ihn nicht teilen kann? Einsamkeit sei nicht schlimm, das sei sie gewohnt. Alleinsein dagegen sei schwer, sagt Linda irgendwann. „Ich habe mir nichts zu sagen stellt sie geschockt fest.
So hocken die Drei in Gregors Keller (Ausstattung:Magnus Pelkowski / Bühnenbau: Stefan Teichmann), leben von Gregors gehortetem Sauerkraut und versuchen, mit Hilfe ihrer alten Routinen ihre Rolle im neuen Leben zu finden. Das ändert sich erst, als plötzlich Lysann auftaucht, alles durcheinander würfelt und den Kellerbewohnern den Kopf zurechtrückt. Die ätherische Anna Fingerhuth tänzelt als Lysann durch den Keller, stellt rätselhafte Fragen und macht aus dem Stück ein echtes Gedankenspiel. Wer sie eigentlich ist, bleibt bis zum Schluss offen. „Wer war Lysann?" , fragt Alf. „Was würde es ändern?" , entgegnet Linda. Nichts.