• Eine satirische Tanztheater-Utopie
    Nightlife 2074
  • Nightlife 2074

    Genre-Mix aus Tanz, Text und Musik

    Wir schreiben das Jahr 2074, die Weltregierung hat die Probleme der Vergangenheit für gelöst erklärt, Anpassungsfähigkeit und Resilienz zeichnen die neuen Menschen aus. Voll Zuversicht begegnen sie der neuen Wirklichkeit. Zwar konnte der Klimawandel in den vergangenen Jahrzehnten nicht aufgehalten werden, doch mit überlegener Technologie und viel »Kreativität« ist es gelungen, den Alltag an die veränderten Bedingungen anzupassen: Ist der Tag nicht mehr lebenswert, weil die Sonne aggressive Strahlung abgibt, sind die Menschen eben nachts den ganzen Tag wach.
    Unter der Aufsicht eines Regulators, der für Wohlbefinden und die Einhaltung der geforderten Normwerte sorgt, wohnen drei junge Menschen in einem Multifunktionsraum. Das virtuelle Tageslicht ist frei von schädlichen Bestandteilen, die letzten Zweifel werden über Bord geworfen und voller Vertrauen in das neue System wird die Nacht zum Tage gemacht. Hier ist alles möglich: Leben, Arbeit, Urlaub...Liebe?
    Die künstliche Sonne geht auf. Nehmen wir also die Schutzbrillen ab und schauen in eine leuchtende Zukunft. Verzicht ist nicht erforderlich, denn brauchen wir unbedingt die Wirklichkeit? Oder genügt uns die Illusion?

    »Nightlife 2074« ist eine Kooperation des Theaters Combinale mit TanzOrtNord und dem Tanzforum Lübeck. Unter der künstlerischen Leitung von Shiao Ing Oei ist ein spannender Mix aus Tanz, Text und Musik entstanden. In bewegenden Bildern und dynamischen Tanzsequenzen entfaltet das Ensemble eine originelle Bewegungs-Sprache. Die Texte von Schauspieler Ulli Haussmann verleihen dem Abend absurdkomische Elemente. Stephanie Viola Dalski schafft mit Bühnenbild und Kostümen den Spielraum für eine scheinbar lebenswerte Zukunft.


    Inszenierung, Choreographie, Musikbearbeitung: Shiao Ing Oei, TanzOrtNord | Kostüm, Bühne: Stephanie Viola Dalski | Schauspiel, Text: Ulli Haussmann | Tanz: Tommaso Balbo & Giorgia Bovo & Kim Tassia Kreipe | Technik: Tobias Pupp | Licht: Migo Eichholz | Projektleitung: Ulla Benninghoven

     

    Trailer

     

    Alle Termine

    Oktober 2024

    Freitag 18. Oktober 20:00 Uhr
    Samstag 19. Oktober 20:00 Uhr
    Samstag 26. Oktober 20:00 Uhr
    Sonntag 27. Oktober 18:00 Uhr

    November 2024

    Samstag 09. November 20:00 Uhr
    Sonntag 10. November 18:00 Uhr

    Pressestimmen

    Kulturmelange

    Offener Kanal Lübeck

    Bericht vom 7.5.2024

     

    Kontrolle im Kunstlicht

    Tanz-Premiere von „Nightlife 2074“ im Theater Combinale: Beklemmende Visionen  - und etwas Hoffnung

    Hanno Kabel in den Lübecker Nachrichten vom 5.5.2024

    Mit seiner getanzten Dystopie "Nightlife 2074" hat das Lübecker Theater Combinale ein ungewöhnliches, unterhaltsames Format geschaffen. Leben möchte man in dieser Zukunft nicht - aber ein bisschen Hoffnung gibt es doch.
    Am Eingang des Theatersaals gibt es Lichtschutzbrillen für die Besucherinnen und Besucher. Es ist, so beginnt „Nightlife 2074“, der 20. März 2074. Wie jedes Jahr zu Beginn des Sommerhalbjahrs ziehen sich die Menschen zurück. Sie schlafen tags, arbeiten nachts und ersetzen die gefährliche Sonne durch „virtuelles Sonnenlicht“. Sie leben in einem nicht näher benannten „System“ und bekennen sich rituell dazu, damit „im harmonischen Einklang“ zu sein. Sie ernähren sich mit synthetischer Flüssignahrung – Backen, Kochen und Braten sind verboten.
    Kontrolle und Herrschaft über den Körper, dieses Thema bildet den Hintergrund der Inszenierung, die als „satirische Tanztheater-Utopie“ angekündigt ist. Das Szenario hat Ulli Haussmann entwickelt, die Choreografie Shiao Ing Oei. Sie hat auch die Musik zusammengestellt, eine gelungene Kombination aus klassikartigen Streicherklängen und Elektronik mit Techno-Elementen. Auf offensichtliche Anspielungen verzichtet diese Musik, sie gibt dem Tanz und der Fantasie Raum.
    Der Zufall wird ausgeschaltet
    Auf der Bühne sind drei Tänzer (Tommaso Balbo, Kim Tassia Kreipe, Giorgia Bovo) und ein Schauspieler (Ulli Haussmann). Die drei von den Tänzern dargestellten Menschen schlafen auf Matten, die aussehen wie die Umrisse, mit denen in alten Krimis die Lage von Mordopfern markiert wird. Man kann es als ein Bild verstehen für den Schein von Individualität, wie ihn Benutzerprofile erzeugen: Das Individuum wird auf das festgelegt, was es schon ist. Der Zufall wird ausgeschaltet.
    Die drei Menschen wachen auf, strecken und dehnen sich lange. Mühevoll ist es, die widerspenstigen Körper in den Arbeitsmodus zu versetzen. Den Zwang symbolisieren zum nach einer Seite offenen Sechseck geformte Kunststoff-Rohre als sperriges Tanz-Accessoire – wie eine Parodie auf die harmonische Kreisform. Die Arbeit, dargestellt durch maschinenhafte, oft synchron getanzte Bewegungen, wird nicht näher bestimmt – abgesehen von der nichtssagenden Tautologie „Leben ist Arbeit, und Arbeit ist Leben“. Die Arbeit produziert nichts außer Kennzahlen. Ihr Zweck ist die Kontrolle.
    Sorgfältig begrenzte Freiheit
    Statthalter des „Systems“ ist der „Regulator“, ein strenger, älterer Herr im hellen Anzug, der unablässig Sentenzen über die Arbeit, das Leben und das System von sich gibt (Ulli Haussmann). Die Menschen werden zu Kindern gemacht, durch strenge Erziehung und Überwachung im Zaum gehalten. Konflikte sind in dieser Welt nicht vorgesehen, sie werden übergossen mit Phrasen über Achtsamkeit, Wertschätzung und Harmonie.
    Eine kleine Rebellion
    Der Freiheitsdrang der Kind-Menschen wird kanalisiert durch eine streng bemessene „Regenerations- und Erholungsphase“, in der sie mit VR-Brillen in eine simulierte, andere Welt eintauchen dürfen. Etwas sehr platt stellt der „Regulator“ die rhetorische Frage: „Aber mal ehrlich – brauchen wir unbedingt die Wirklichkeit?“, und dann fangen die drei an zu spielen: eine mit einem Schlitten im Schnee, eine im Weltall mit den Sternen, symbolisiert durch weiße Luftballons, und einer in einer Bäckerei, mit Begeisterung Brotteig knetend. Es ist rührend und zugleich beklemmend zu sehen, wie ihre Körper das Glück dieser sorgfältig begrenzten Freiheit ausdrücken.
    Aber Kinder sind eben auch empfänglich für den Reiz des Verbotenen. Die drei tun sich zusammen und besuchen einander auf ihren Inseln. Zum ersten Mal tanzen sie wirklich zusammen. Sie bewegen sich nicht mehr synchron, sondern aufeinander zu, und sie berühren einander, tragen einander. Eine kleine Rebellion nur, bevor sie ins Regiment zurückkehren. Doch immerhin ein Zeichen der Hoffnung: Die Kontrolle hat Risse.

     

    Getanzte Satire im Theater Combinale

    „Nightlife 2074“ feiert am 3. Mai Premiere – Utopie zeigt. Wie wir in 50 Jahren leben und arbeiten

    Regine Ley in den LN vom 26.4.2024

    Klimawandel, Hitzerekorde, Überschwemmungen, alles kein Problem. Der Mensch ist anpassungsfähig, resilient, er verfügt über das Wissen und die Technologie, elementare Probleme zu überwinden. Man muss nur fest daran glauben. Und alles ist gut. 
    Wie das in einer gar nicht so fernen Zukunft aussehen kann, das bringen die Choreografin Shiao Ing Oei und Schauspieler Ulli Haussmann als Tanztheater auf die Bühne des Theaters Combinale. „Nightlife 2074“ lautet der Titel des Stücks. Die satirische Utopie feiert am Freitag, 3. Mai, Premiere – und versetzt die Zuschauer 50 Jahre in die Zukunft. 
    Im Rhythmus eines regulierten Lebens 
    Der Klimawandel ist Realität geworden, die Sonne brennt gnadenlos vom Himmel. Die Weltregierung hat daher beschlossen, die Nacht zum Tag zu machen. Die Menschen leben und arbeiten unter virtuellem Tageslicht bei sorgsam gesteuerten Temperaturen. 
    So hat es die Weltregierung für alle vorgesehen. Ein Regulator, dargestellt vom Autor des Stückes, Ulli Haussmann, wacht über das persönliche Wohlbefinden und erinnert an die Einhaltung der Regeln im neuen System. Den drei Bewohnern eines Multifunktionsraumes fehlt es an nichts: Essen in Form von Pulvernahrung, schlafen, arbeiten, Entspannung, ein virtueller Urlaub – was braucht der Mensch mehr? 
    Drei Tänzer, Giorgia Bovo, Tommaso Balbo und Kim Tassia Kreipe, setzen den Rhythmus dieses regulierten Lebens nach der Choreografie von Shiao Ing Oei in Bewegung um. Bühnenbild, Kostüme und Requisiten hat Stephanie Viola Dalski bewusst reduziert gehalten – die Endlosschleife des Konsums ist überwunden. Das System nährt sich und die Menschen im Resonanzraum einer ewigen Selbstversicherung, dass alles gut ist, wie es ist. 
    „Irgendwie kriegen wir das schon hin“ 
    „Wir sind alle das System in unserem Glauben, dass wir das schon irgendwie hinkriegen“, sagt Autor Ulli Haussmann zu seinem utopistischen Szenario, das er für „Nightlife 2074“ entworfen hat. Es nimmt ganz aktuell Bezug auf die gegenwärtige Bedrohung durch den Klimawandel. Im Stück hat er schon stattgefunden, das „Irgendwie“ nimmt Gestalt an – mit einer künstlichen Sonne, unbedingtem Vertrauen ins System und in die technologischen Errungenschaften. 
    Multifunktionelle Arbeitsgeräte werden als Accessoires geschickt in einen Produktions-Tanz eingebaut, der alle möglichen Tätigkeiten von der Büro- bis zur Fließbandarbeit oder zu kreativem Schaffen in sich bündelt. Die Kleidung, Arbeitsjacken der Lübecker Firma Dräger, kam schon 25 Jahre zuvor, beim ersten gemeinsamen Tanzprojekt von Shiao Ing Oei und Ulli Haussmann, zum Einsatz. „Nachtschicht“ wurde 1999 im Lübecker Hafen als Open-Air-Inszenierung auf der nördlichen Wallhalbinsel aufgeführt. 
    Auch wenn die Nacht in beiden Stücken titelgebend war, knüpfe „Nightlife 2074“ nicht an „Nachtschicht“ an, sagt Shiao Ing Oei. Die neue Produktion, eine Kooperation von TanzOrtNord mit dem Theater Combinale und dem Tanzforum Lübeck, sei ein Stück über die Existenz der Menschen in der Zukunft – und was das Leben auch künftig lebenswert macht. „Wir haben versucht, sie vorstellbar zu machen, und sie ins Absurde hinein entwickelt.“ 
    Wohin diese Utopie führt, steht noch nicht fest. „Das Ende muss sich noch entwickeln“, sagt die Choreografin und lacht. Es entsteht dieser Tage in den Proben. Und selbst wenn es zur Katastrophe kommt – eine Überschwemmung flutet in „Nightlife 2074“ die Gewissheiten erst einmal hinweg – kann doch alles noch gut werden. Man muss nur fest genug daran glauben und einfach weitermachen. Oder? 

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